mord2go – Tödliche Geschichten für unterwges und zwischendurch - von Olaf Fritsche

Unter Verdacht

von Olaf Fritsche

Ja, ich weiß, was Sie jetzt denken. Wie konnte sie nur so blöd sein und in die Villa von Justin einbrechen? Wo vor nicht einmal einer Woche sämtliche Zeitungen darüber berichtet haben, dass sich diese „verrückte Stalkerin“ ihm nicht auf weniger als hundert Meter nähern darf. Und wissen Sie was? Sie haben recht! Ja, das gebe ich unumwunden zu. Es war nicht allzu clever, was ich getan habe. Okay, wenn Sie so wollen, dann war es sogar regelrecht blöd. Aber hey …! Erstens dachte ich, er wäre überhaupt nicht zu Hause, und dann konnte nun wirklich niemand ahnen, was passieren würde, als ich mich in seine Villa geschlichen habe. Oder hätten Sie damit gerechnet? Wie? Sie haben keine Ahnung, was da abgelaufen ist? Na, dann passen Sie mal schön auf …


Lassen wir der Einfachheit halber die peinliche Vorgeschichte mit dem Prozess und dem Urteil beiseite. Sagen wir, ich bin ein ausgesprochener Fan von Justin. Sie wissen schon: dieser unheimlich gut aussehende Profiler aus der Fernsehserie. Der immer genau weiß, was der Mörder gerade denkt. Nun, also im richtigen Leben ist Justin zwar genauso gut aussehend, aber kein Profiler, sondern Schauspieler. Und er ist Single, was ihn gleich noch viel interessanter macht. Die meiste Zeit wohnt Justin in einer Villa in Beverly Hills. So ein Luxusanwesen mit Pool und allen Schikanen, wie man das von den Stars so kennt. Von meiner Wohnung bis dahin sind es mit dem Auto nur anderthalb Stunden. Wirklich nicht mehr als ein Katzensprung, wenn man mal eben mit eigenen Augen sehen will, wie es seinem großen Schwarm geht und was er so macht.

An dem Tag, an dem die Geschichte anfing, habe ich auf dem Weg zur Arbeit einen kleinen Umweg gemacht, um einen schnellen Blick zu riskieren. Das mache ich öfter, weil man nur dann beruhigt sein kann, das alles in Ordnung ist und so. Gesetzestreu wie ich bin, halte ich dabei immer die gerichtlich angeordneten hundert Meter ein. Ich habe das sogar extra nachgemessen, mit so einem Laserentfernungsdingsbums. Es sind genau 112,73 Meter von dem Baum, auf den ich klettere, bis zum Rand des Pools. Das mit dem Baum muss sein wegen der hohen Hecke um das Grundstück, die nimmt einen sonst die ganze Sicht.

Ja, und was sehe ich da an diesem Tag? Also, normalerweise ist immer alles schön ordentlich und aufgeräumt, mit gemähtem Rasen und Türen zu. Aber nicht so an dem Morgen. Da lagen auf dem Gras lauter Sektflaschen und Pappbecher. Haben die wohl gestern Abend gefeiert, dachte ich bei mir. Schade, dass ich Überstunden machen musste und das verpasst habe. Tja, die tollsten Sachen im Leben ziehen eben an Leuten wie mir oft vorbei. Und wie ich vor mich her trauere, fällt mir auf, dass die Terrassentür offensteht. Nicht weit, eher einen Spalt, aber mit dem Fernglas war das deutlich zu sehen.

Na, was hätten Sie gemacht? Solche eine Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage, das kann ich Ihnen versichern! Meistens ist doch alles verschlossen und mit Alarmanlage gesichert und so. Da bekommt man keine Chance, mal ein bisschen Hollywood zu schnuppern. Ich also runter von meinem Baum und zur Villa geschlichen. Über das Gartentor rüber war leichter als auf den Baum hoch. Dann um das Gebäude herum und kurz durch den Spalt in der Terrassentür gerufen, ob jemand zu Hause ist. Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass Justin mit seinen Freunden weggefahren war und mit einem dieser dürren Flittchen in deren Lotterbett seinen Rausch ausschlief. Sie wissen ja, was die Klatschblätter immer schreiben. Muss schließlich irgendwas dran sein.

Wie niemand geantwortet hat, bin ich vorsichtig rein. Junge, war das ein Zimmer! Mindestens so groß wie meine ganze Wohnung! Und geschmackvoll eingerichtet! Mit Säulen mitten im Raum und Leopardenfellen an den Wänden. Künstliche, denke ich, natürliche geht ja nicht wegen Artenschutz und so. An der Decke ein riesiges Bild: Savanne oder Dschungel mit Elefanten und Löwen und Zebras. Ich bin mir vorgekommen wie in Afrika oder bei den Alten Griechen, wie ich da so staunenden Auges herumgetapst bin. Hab mich richtig klein gefühlt. Ja, und dann bin ich im wörtlichen Sinne über Justins Leiche gestolpert.

Ehrlich! Der war schon tot, als ich reinkam! Lag da mitten im Raum auf dem Bauch, die Arme und Beine ganz komisch zu den Seiten. Um ihn herum alles voller Blut. Mensch, hab ich einen Schrecken gekriegt! Mit der einen Hand habe ich mir an die Brust gefasst, weil mein Herz beinahe stehengeblieben wäre, mit der anderen habe ich an einer Säule Halt gesucht. Bestimmt fünf Minuten habe ich gepumpt wie verrückt. Dann habe ich mir gedacht, das hilft jetzt alles nichts, ich brauche einen Whisky. Ich also nichts wie rüber zu der Bar, die da in einer Ecke eingerichtet ist, und da habe ich mir etwas eingekippt und gleich noch einen hinterher. Wissen Sie, eigentlich trinke ich gar nicht so gerne Alkohol, aber das hatte ich gebraucht. Danach war ich viel klarer im Kopf. Bloß, als ich mich dann umgedreht habe, sah ich die roten Fußspuren, die ich auf dem Boden hinterlassen habe, als ich erst durch Justins Blut und dann durch das Zimmer zur Bar bin. Nun mal ehrlich: Hätten Sie da die Nerven behalten?

Ich schon! Also, nicht sofort. Aber nachdem ich eine Minute wie am Spieß geschrien habe, bin ich ganz ruhig geworden. Ich habe mir gedacht: Samantha, du sitzt ziemlich tief in der … Na, Sie wissen schon. Justin lag tot auf dem Boden, ich war ihm näher als die erlaubten hundert Meter, meine Fingerabdrücke waren auf dem Glas und im ganzen Raum, und sein Blut klebte an meinen Schuhen. Kein Schwein würde mir glauben, dass ich unschuldig war! Das war ganz klar wie bei den Fällen in den Fernsehkrimis: Ich, zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort, musste wegen der ungünstigen Umstände wohl oder übel selbst den wahren Täter finden, um meine Unschuld zu beweisen. Ich also mein Handy gezückt, ordentlich Fotos vom Tatort und von der Leiche geschossen und dann nichts wie raus aus dem Haus. Über das Gartentor, zu meinem Wagen und weg.


Blöderweise wusste ich zu Hause nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte ja keine Anhaltspunkte. Weil die Detektive im Fernsehen in solchen Situationen immer ihre Informanten aus der Unterwelt aufsuchen, ob die etwas gehört haben und so, habe ich die einzige Kriminelle angerufen, die ich kenne: meine Freundin Jenny. Die hat nämlich mal eine Nacht in der Arrestzelle verbracht, weil sie einen Hydranten umgefahren hat, als sie sich auf der Rückfahrt von einer Premiere nach Harrison Ford umguckte. War gar nicht Harrison Ford, wie sich später rausstellte. Aber da war der Hydrant schon hinüber, und weil Jenny ihren Führerschein nicht dabei hatte, kam sie in Gewahrsam bis zum nächsten Morgen, als ich für sie das Papier aus ihrer Wohnung geholt und zur Polizei gebracht hatte.

Ich hab also Jenny angerufen, und die hat gemeint, sie versteht kein Wort, weil ich viel zu aufgeregt und hektisch spreche. Darum bin ich zu ihr gefahren. Nur um ein paar Ecken, und außerdem ist Autofahren irgendwie einfacher als telefonieren, wenn man gerade voll von der Rolle ist. Jenny habe ich dann haarklein berichtet, was passiert war, und der fiel doch tatsächlich nichts Besseres ein, als dass ich mich stellen sollte! Da habe ich ihr aber etwas erzählt von wegen bester Freundin und füreinander da sein. Wir haben uns ein bisschen gekabbelt, doch am Ende hat Jenny gesagt, dass ich für den Rest der Woche bei ihr unterschlüpfen könnte. Danach müsste sie mich melden.

Merken Sie’s? Genau wie im Fernsehen: Der Held bekommt eine Galgenfrist, um seine Unschuld zu beweisen! Der Held, das war ich, und ich wusste nun, es wird alles gut.

Wurde es aber nicht! Ich hatte ja noch immer keine Ahnung, was ich tun sollte. Also, das muss ich hier mal sagen: Die Sache mit dem Mörderfangen sieht im Fernsehen viel einfacher aus, als sie in Wirklichkeit ist!

Da stand ich nun auf dem Schlauch, und nachdem ich eine Runde geheult hatte, habe ich das gemacht, was ich immer mache, wenn ich nicht weiß, wie weiter: Ich bin zum Friseur gegangen. Ich will hier ja nicht vorgreifen, aber nur so als Tipp für Sie, falls Sie mal in eine ähnliche Situation kommen: Friseure sind besser als Gangster! Ich meine jetzt, als Anfangspunkt für eine Verbrecherjagd, für tolle Haare ja sowieso. Kann vielleicht sein, dass ein Ganove vom anderen weiß, aber das hilft Ihnen absolut gar nichts, denn die halten immer ihre Klappe. Friseure nicht! Die reden ununterbrochen. Und die wissen alles! Oder beinahe alles. Und teilen das mit jedem, der sich bei ihnen auf den Stuhl setzt.

Mein Friseur war zuverlässig auf dem neuesten Stand, was den Mord an Justin anging. Er war sogar besser informiert als die Klatschzeitschriften, die bei ihm auslagen, denn wegen des Redaktionsschlusses hatten die nur einen Artikel über die Fete in Justins Villa am Tag vor dem Mord. Immerhin mit prima Fotos. Dem Blickwinkel nach zu urteilen musste der Fotograf auf meinem Baum oder ganz in der Nähe gehockt haben, und solch ein Teleobjektiv muss ich mir unbedingt auch einmal kaufen. Knackscharf wie eine rote Paprika waren die Bilder. Sogar die süßen, kleinen Fältchen um Justins Mundwinkel und die niedlichen, grauen Strähnchen in seinem Haar waren zu erkennen. Doch wie ich mich in meinen Tagträumen dazudenke, muss ich plötzlich stutzen. Zuerst weiß ich selbst nicht, warum, erst als ich heimlich mein Handy zücke und die Fotos vom Tatort mit den Bildern aus der Zeitschrift vergleiche, springt es mir geradezu ins Auge: Als Leiche hatte Justin seine Uhr nicht um!

Okay, das klingt jetzt vielleicht nicht sonderlich spektakulär. Wozu braucht ein Toter schließlich eine Uhr, wenn seine Zeit doch sowieso schon abgelaufen ist, oder? Aber diese Uhr war keine gewöhnliche Uhr. Das Ding war der Knüller und ziemlich auffällig. Justin hatte sie mal vor Jahren von einem Scheich geschenkt bekommen, als er zu Dreharbeiten in dessen Wüstenstaat war und für den Scheich und ein paar hundert seiner Gäste eine Sondervorstellung von so einem Theaterstück gegeben hat. Der absolute Luxus! Handgefertigt, mit eingesetzten Juwelen und in einer Auflage von nur drei Stück. Eines der anderen Exemplare gehört Elton John und das dritte unserem Präsidenten. Da staunen Sie, was? Justin hat diese Uhr seitdem immer getragen. Und wenn ich sage „immer“, dann meine ich „immer“. Wenigstens soweit die Objektive von den Reportern reichen. Wenn der tote Justin diese Uhr nicht mehr um hatte, konnte das folglich nur eines bedeuten: Der Mörder hatte sie ihm geklaut! Finde die Uhr, und du hast den Mörder! So simpel kann Detektivarbeit sein.

Damit hatte ich also meine Fährte. Außer genialen Einfällen braucht ein guter Detektiv aber noch etwas: Ausdauer. Den Fotos in der Zeitschrift zufolge hatten sich auf Justins Feier massig Leute von Film und Fernsehen getummelt. Lauter Verdächtige, die es zu befragen galt. Und wo findet man Stars und Promis und solche, die es werden wollen? Genau! Tagsüber in Schönheitssalons und nachts in den angesagtesten Clubs!

Was dann kam, war die teuerste und anstrengendste Woche, die Jenny und ich jemals hatten. Vom Mittag bis zum Abend sind wir von Salon zu Salon gezogen, haben uns die Finger- und Fußnägel dreifach schleifen und lackieren, Strähnchen in die Haare rein und raus färben, blondieren und brünieren, schneiden und verlängern und was-weiß-ich-nicht-alles machen lassen. Dann sind wir auf einen Sprung in Jennys Wohnung, um eine Mütze Schlaf zu tanken, und kurz vor zwölf ging es wieder auf die Piste von Club zu Club. Immer auf der Suche, ob jemand etwas über den Verbleib dieser Uhr wusste. Damit eine von uns nüchtern blieb und fahren konnte, durfte Jenny nur Schweppes trinken und hat sich im Hintergrund gehalten, während ich die Männer in vertrauliche Gespräche verwickelt habe. Nebenbei bemerkt: Ich will ja nicht angeben, aber über mangelnde Angebote, die Unterhaltungen zu vertiefen, konnte ich mich nicht beklagen.

Drei Tage lang haben wir das durchgezogen, und am vierten Tag hingen wir ziemlich in den Seilen. Kann ja sein, dass James Bond immer auf Anhieb in das richtige Casino läuft. Jenny und ich haben jedenfalls am Anfang nur Nieten gezogen. Wir wollten schon aufgeben, als wir einen letzten Versuch im Roten Flamingo gewagt haben. Im Grunde haben wir uns davon nicht allzu viel versprochen, weil das eher ein Laden für die zweite Reihe ist, die es nie zu einer Hauptrolle in einem A-Streifen geschafft hat. Aber ein paar von denen waren auf Justins Party gewesen, also mussten wir sie abchecken. Und was soll ich sagen: Volltreffer!

Ich vermute, der Name Harry Hammer sagt ihnen nichts, oder? Macht nichts, den kennt keine Sau, und bestimmt ist das sowieso nur ein bescheuertes Pseudonym. Ich wusste auch nur deshalb von ihm, weil er ein Freund von Justin von der Schauspielschule war. Während Justins Karriere abgegangen ist wie eine Rakete, tingelte Harry Hammer Jahr um Jahr mit immer neuen Ideen für Shows zu den Studios und holte sich eine Absage nach der anderen. Eine der vielen gescheiterten Existenzen in Hollywood. Tja, genau dieser Harry Hammer saß an jenem Abend im Flamingo an der Bar, und an seinem Handgelenk baumelte Justins Uhr!

Vor Schreck, dass wir unseren Mann endlich gefunden hatten, gab ich Jenny einen Ellenbogenstoß, dass sie sich ihr Schweppes über das Kleid kippte. Die war zuerst richtig sauer. Aber als ich ihr unauffällig Harry und die Uhr zeigte, kam sie schnell wieder runter und wollte gleich die Polizei rufen. Ich fand jedoch, dass das keine gute Idee wäre, weil auf deren Liste von Verdächtigen schließlich mein Name ganz oben prangte, und die kurzerhand mich verhaften würden, statt sich den wahren Mörder zu schnappen. Da wäre es besser, ich würde zuerst noch weitere Beweise sammeln. Gut, meinte Jenny, dann geht sie eben schnell, um sich und ihr Kleid frisch zu machen, und dann sehen wir weiter.

Nun hat ja jeder seine kleinen Macken, und bei mir könnte das sein, dass ich es nicht so mit der Geduld habe. Statt auf Jenny zu warten, bin ich gleich rüber zu Harry und habe ihn angequatscht. Dabei habe ich das Gespräch so unauffällig wie möglich auf Justins Feier und die Uhr gelenkt, was im Nachhinein keiner meiner besseren Einfälle war, denn Harry hat irgendwie Lunte gerochen. Ob wir nicht ein wenig Luft schnappen wollten, fragte er mich. Hier im Club sei es so stickig, und der Abend wäre so schön. Und was habe ich Esel gemacht? Ihm zugestimmt, und dann sind wir beide aus dem Club raus.

Am Anfang tat Harry so, als wolle er mit mir anbandeln. Nicht auf die plumpe Art, wie sie andere draufhaben wie beispielsweise … Ach, besser, ich nenne keine Namen. Harry und ich schlenderten jedenfalls nebeneinander die Straße runter, und er erzählte mir von einer Wahnsinnsidee für eine Krimiserie, die er gerade den großen Studios vorschlug. Ehrlich gesagt, klang das gar nicht einmal so übel. Fast hätte ich sogar vergessen, warum ich ihn überhaupt aufgespürt und angesprochen hatte. Doch da riss mich Harry ohne Vorwarnung brutal in eine Seitenstraße und zurück in die Wirklichkeit. Hat man Sie schonmal zwischen Mülltonnen gegen eine Ziegelmauer gedrückt und Ihnen dabei ein Messer an die Kehle gehalten? Falls nicht, haben Sie keine Vorstellung, wie hoch einem das verzweifelte Herz schlagen kann. Echt nicht! Ich war mir sicher, dass mein letztes Stündlein gekommen war.

In der Zwischenzeit, während Harry noch seine Rolle als harmloser Romantiker spielte, war Jenny im Club von der Toilette zurück und geriet langsam in Panik, weil sie weder mich noch unseren Mörder finden konnte. Sie fragte herum, und erfuhr vom Türsteher, dass wir gemeinsam losgeschlendert waren und in welche Richtung. Also, an dieser Stelle muss ich einfach mal loswerden, dass Jenny die allerbeste aller Freundinnen ist und man sich jederzeit auf sie verlassen kann! Messerscharf hat Jenny gefolgert, dass ich in Gefahr sei und wir jetzt dringend Hilfe brauchten. Mit ihrem Handy hat sie die Polizei gerufen und ist dann in ihr Auto gestiegen und langsam den Weg gefahren, den ein paar Minuten zuvor Harry und ich zu Fuß zurückgelegt hatten. Und wie sie so forschend in die Seitenstraßen guckt, entdeckt sie mich an die Hauswand gepresst mit einem Messer am Hals.

Jemand anderes hätte sich womöglich vor Angst in die Hosen gemacht, aber nicht so Jenny. Sie hat das Steuer von ihrem Wagen herumgerissen und Vollgas gegeben. Harry, der mir gerade mit fletschenden Zähnen erklärte, es täte ihm leid, aber er müsse mir nun den Garaus machen, glotzte eine Sekunde in die blendenden Scheinwerfer, dann ließ er von mir ab und rannte weg. Die Gasse hinunter und Jenny im Auto hinterher. Ich gebe zu, Harry war schnell. Aber Jennys Auto war natürlich schneller. Sie hat ihn nicht direkt umgenietet. Was Harry von den Beinen gerissen hat, war der Wasserstrahl aus dem Hydranten, gegen den Jenny in ihrer Aufregung gefahren ist. Letztlich war das allerdings vollkommen egal, denn in dem Augenblick kam die Polizei, und sie schnappte sich den ziemlich benommenen Harry. Mich dummerweise auch. Außerdem Jenny wegen des Hydranten und weil sie mal wieder ihren Führerschein nicht dabei hatte. Den Rest der Nacht verbrachten wir drei darum auf dem Polizeirevier. Jeder für sich mit Verhören und ab und zu einem miserablen Kaffee.


Unterm Strich ging die Aktion für Jenny und mich recht glimpflich aus. Jenny musste für drei Monate den Führerschein abgeben und an einer Schulung zur Wichtigkeit von Hydranten und den sich daraus ergebenden Regeln für den Straßenverkehr teilnehmen. Ich stand offiziell weiter unter Tatverdacht und durfte die Stadt nicht verlassen. Doch einer der Officers hat mir unter der Hand verraten, dass Harry ein Geständnis abgelegt hat und ich aus dem Schneider bin. Als Motiv war wohl Neid und Frust im Spiel. Harrys Idee für die Serie war wirklich gut. So gut, dass eines der Studios sie kurzerhand geklaut hatte und mit Justin in der Titelrolle umsetzen wollte. Harry hatte Justin deshalb nach der Feier zur Rede gestellt, es war zum Streit gekommen, und Harry hatte Justin mit dem nächstbesten Gegenstand eine übergezogen. Was das für eine Waffe war, durfte der Officer mir nicht verraten. Nur soviel, dass mit Ausnahme des Täters und der Polizei niemand jemals auf die Idee kommen würde, dass Justin ausgerechnet damit umgebracht worden ist. Täterwissen heißt sowas im Fachjargon, meinte der Officer. Und er fügte hinzu, dass Harry, weil Justin nunmal schon tot war, sich die schicke Uhr als Souvenir mitgenommen hatte. Was, wie sich gezeigt hat, ein saublöder Fehler war.

Der Prozess geht kommenden Monat los. Natürlich werden Jenny und ich keinen Verhandlungstag verpassen, das bin ich Justin irgendwie schuldig. Außerdem sitzt jede Menge Hollywoodprominenz im Publikum. Da ist zum Beispiel so ein junger skandinavischer Schauspieler. Joel heißt er. Blaue Augen wie Ozeane! Und wenn er grinst, hat er so niedliche Grübchen! Jede Wette, dass der ganz groß rauskommt! Nach dem nächsten Gerichtstag werde ich mich mal an ihn dranhängen und sehen, ob ich herausfinde, wo er wohnt. So ein Teleobjektiv habe ich mir bereits bestellt. Für den Fall, dass wieder irgendein Richter kein Verständnis hat und mir aufdonnert, mich von Joel fernzuhalten. Es ist ja nicht so, dass ich nichts aus der Sache mit Justin und mir gelernt hätte. So blöd bin ich nun auch wieder nicht.

He, Sie lachen doch nicht etwa?