mord2go – Tödliche Geschichten für unterwges und zwischendurch - von Olaf Fritsche

Die Mörder GmbH

von Olaf Fritsche

Hi! Ich bin Alec. Alec Cattlefield. Wenn Sie wollen, dürfen Sie aber einfach Alec zu mir sagen.

Vielleicht kennen Sie mich sogar. Viele Londoner haben mich schon gesehen, meist ohne mich zu bemerken. Ich bin nämlich Busfahrer. Das heißt, ich war Busfahrer. Bis zu dem Tag, an dem das alles anfing – also, die Geschichte mit der Mörder GmbH.

Von der haben Sie bestimmt schon gehört. Das ging ja damals durch alle Medien. Sogar im Fernsehen haben die einen Bericht über uns gebracht. Das hatte Chester eingefädelt, der kannte da so einen Typen von einem Sender. Na ja, was soll ich sagen? Obwohl Chester von Anfang an dabei gewesen ist und es eigentlich besser weiß, war nicht alles richtig, was da über uns erzählt wurde. Im Grunde war sogar ziemlich viel falsch. Das war, als wenn Sie in die Linie 15 steigen, um nach Blackwall Station zu gelangen, und dann fährt der Bus aber nach Cricklewood. Also völlig verkehrt.

Deshalb habe ich mich entschlossen, endlich einmal die wahre Geschichte der Mörder GmbH zu erzählen. So, wie sie sich wirklich abgespielt hat. Ganz offen und ehrlich. Wenn Sie also gerade einen Moment Zeit haben … Alles fing damit an, dass ich nach meiner Tour zum Chef in sein Büro gerufen wurde …


„Du wolltest mich sprechen, Clive?“

„Ja, Alec, wollte ich. Setz dich doch.“

Wenn man zum Chef gerufen wurde, hatte das nie etwas Gutes zu bedeuten. Kann sein, dass ich deshalb ein wenig nervös war, als ich zu dem klapprigen Holzstuhl vor seinem Schreibtisch rüberging und mich auf die vordere Stuhlkante setzte.

„Wie geht es den Kindern, Alec? Alle gesund?“

Scheiße! Er fing mit der Familie an. Dann war es schlimmer, als ich erwartet hatte. Ob er mir meine Tour wegnehmen wollte? Mich von der prestigeträchtigen Linie 1 zu irgendeiner anderen Route der Central Area versetzen? Da gab es einige Kollegen, die schon lange scharf waren auf meinen Platz hinter dem Steuer meines Doppeldeckers.

Mehr als ein knappes Nicken mit zusammengepressten Lippen gab ich nicht zur Antwort.

„Los, sag schon!“, dachte ich. Besser, man hat es schnell hinter sich. Ist schon immer meine Devise gewesen.

„Ich will nicht lange drumrum reden. Seit dem Brexit sind die Kassen noch leerer als früher. Alle müssen sparen. Alle, Alec.“

Während er das sagte, schaute er mir nicht ins Gesicht, sondern schien sich mehr für das Chaos auf seinem Schreibtisch zu interessieren. Schob ein paar Blätter zu einem Stoß zusammen, den er erst nach links und dann nach rechts rangierte.

„Lohnkürzung“, schoss es mir durch den Kopf. Das Schwein wollte mein Gehalt zusammenstreichen. Als wenn da viel einzusparen wäre, bei den paar mickrigen Kröten, die ich nach Hause bringe.

„Ich schreib dir ein ordentliches Zeugnis, Alec. Warst schließlich einer unser besten Fahrer.“

Sollte der doch mal versuchen, mit so ein paar Pfund eine Frau und drei ewig plärrende Bälger durchzubringen. Dann würde er aber …

„Was sagst du da?“ Mein Gehirn brauchte einige Sekunden, um die Bedeutung der Worte meines Chefs zu registrieren. Von wegen Lohnkürzung!

„Du schmeißt mich raus?“

„Versteh doch, Alec! Es sind schwere Zeiten …“

„Du setzt mich vor die Tür? Mich?“ Ich stand ruckartig auf. Der Stuhl klapperte laut, als er zu Boden kippte, doch weder ich noch mein Chef beachteten den Lärm.

„Alec, du bist nicht der einzige, der …“

„30 Jahre, Clive! Seit beschissenen 30 Jahren fahre ich für dich. Für dich und diesen Scheißladen. Hab nie krank gefeiert. Hab nie gestreikt. Hab mir alles gefallen lassen! 30 Jahre, Mann!“

„Das weiß ich doch, Alec. Aber sieh mal …“

„Ich bin 49, Clive! Wer stellt mich denn jetzt noch ein?“

„Es tut mir leid, Alec. Es gibt da ein Programm für Umschulungen …“

„Scheiß was auf deine Umschulungen!“ In mir stieg eine mächtige Wut auf. So eine wie im Winter, wenn es kalt und nass ist und die Busse total verstopft, sodass sich die Fahrgäste wie die Sardinen drängen und es gehen trotzdem nicht alle rein, und ein so’n Rindvieh kapiert nicht, dass er auf den nächsten Bus warten muss, sondern steht in der Tür und weigert sich, wieder auszusteigen, sodass ich als Fahrer die Tür nicht schließen und weiterfahren kann. Genau solch eine Wut war das.

Ich machte zwei kleine, aber entschlossene Schritte vor und überlegte, ob ich den beschissenen Schreibtisch umkippen und die beschissenen Zettel meines beschissenen Chefs in alle Winde verstreuen sollte. Dann entschied ich mich aber dagegen und ging die zwei Schritte wieder zurück. Dann zur Seite. Und zurück. Immer hin und her. Die Wut musste ja irgendwo hin. „Ich bin Busfahrer, Clive! Immer gewesen. Ich kann nichts anderes!“

„Alec, hör mir einfach mal zu!“

„Nee, Clive! Du hast genug gesagt!“ Abrupt blieb ich stehen. Hob die Hand, in der ich meine Busfahrermütze hielt, zur Faust geballt, den Zeigefinger ausgestreckt. „Von dir lass’ ich mir nichts mehr sagen! Von dir nicht!“ Auf den Hacken machte ich kehrt, stürmte durch das beschissene Büro und knallte die beschissene Tür hinter mir zu. In der Hand hält ich fest meine Mütze umklammert. Die Mütze eines Londoner Busfahrers.


Tja, da stand ich nun. Im einen Moment noch Fahrer der Linie 1 von Tottenham Court Road Station nach Canada Water. Kapitän eines der berühmten Doppeldecker. Herr der Londoner Straßen. Und im nächsten Augenblick ein abgewrackter, alter Busfahrer ohne Aussichten. Aber so ging es nicht nur mir, wie ich eine knappe Stunde später im Pub von meinen beiden Kumpeln Poppy und Chester erfuhr.


„Bei mir lief es genau so!“ Poppy nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. Es war ihre fünfte Runde, und ihre Zunge hatte zunehmend Schwierigkeiten, ihren Gedanken zu folgen. „Ganz genau so!“

„Ihr Glücklichen!“ Chester starrte mit glasigen Augen in sein Bier. „Ich war erst vier Jahre dabei. Mir hat der Boss nichtmal persönlich Bescheid gesagt. Ich hab’ das Kündigungsschreiben in meinem Spind gefunden. ’Nen Computerausdruck. Nichtmal meine Adresse hat gestimmt.“

Poppy hatte die Linie 242 verloren. Tottenham Court Road Station – Hommerton Hospital. Nicht ganz so edel wie meine Linie 1, aber doch ganz respektabel und in der Central Area. Chester musste hingegen als Anfänger auf der 307 zwischen Barnet und Brimsdown pendeln. Aber er hätte ja noch Zeit gehabt, sich nach London rein zu arbeiten. Wenn sie ihn nicht gefeuert hätten.

„Wisst ihr, noch zwei Jahre, und sie hätten mich von der Country Area in die Central Area versetzt“, sagte er, und sein Blick schweifte in eine zerstörte Zukunft. „Im Zentrum, da gibt es nicht nur mehr Fahrgäste, da sind auch mehr Frauen. Im Handumdrehen hätte ich da auch eine für mich gefunden, das könnt ihr mir glauben. So eine richtig süße, schnuckelige. So eine, die auf mich wartet mit dem Essen, wenn ich von der Tour nach Hause komme.“ Seine Stimme wurde immer weinerlicher, bis er schließlich kräftig die Nase zog und sich zusammenriss.

Wir leerten stumm unsere Gläser. Nur keine Gefühle zeigen – das ist die feine englische Art. Wer das beschlossen hatte, musste garantiert nicht am späten Abend nach Hause gehen und seiner Frau erklären, dass es nichts mehr war mit festem Job und regelmäßigem Einkommen. Dass ab sofort das karge Geld von der Stütze kommen würde. Und dass die Kinder sich die vielen Wünsche bis auf Weiteres abschminken konnten. Genau wie die Reise, die wir in diesem Jahr zu unserer silbernen Hochzeit machen wollten. Ich will Ihnen nichts vormachen: Mir ging es beschissen! Wenn nicht irgendein Wunder geschah, war dies das Ende der Fahnenstange.


Das Wunder stand am kommenden Tag in der Zeitung. Poppy hatte es zuerst entdeckt. Das heißt, eigentlich ist es ihr Mann gewesen. Seit einem Arbeitsunfall auf der Baustelle vor acht Jahren saß der die ganze Zeit zu Hause und las jede Zeitung, die er in die Finger kriegte. Nicht nur den Sportteil, sondern auch Politik und Wirtschaft und so. Natürlich auch den Teil über London. Und da ist er auf den Artikel gestoßen, den Poppy uns am nächsten Abend im Pub auf den Tisch knallte.

„Fit und stark und ein glänzendes Fell. Hundefutter im Sonderangebot“, las Chester laut vor.

„Wat’n …? Mist, das ist der falsche. Wartet mal ’n kleinen Moment.“ Poppy zog den Zeitungsausschnitt so schwungvoll vom Tisch, wie sie ihn uns präsentiert hatte, und wühlte in ihrem alten Busfahrer-Rucksack. „Der muss hier irgendwo sein. Ich weiß, dass ich ihn eingesteckt habe …“

Chester und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Poppy war eine Seele von Mensch … Nee: Ist sie immer noch. Schließlich lebt sie ja putzmunter und fidel noch mitten unter uns. Aber verpeilt wie eh und je. Es gehen die Gerüchte, dass sie nach jedem Wechsel ihrer Linie die ersten zwei bis drei Wochen mehrmals täglich falsch abgebogen und auf ihrer alten Route weitergefahren ist, bis einer der Fahrgäste sich ein Herz gefasst hatte und nach vorne gegangen war, um sie zu fragen, ob er denn richtig sei im Bus nach Wood Green oder New Malden oder wo die Fahrt sonst eigentlich hingehen sollte. Kann aber sein, dass an diesen Storys nicht viel dran ist. Sind eben Gerüchte, und wir haben uns nie getraut, sie zu fragen, was daran wahr ist.

„Da issa ja. Wusst ich’s doch!“

Wieder haute sie ein Stück Papier aufs Holz, mit ihrem typisch triumphierenden Poppy-Grinsen, und wieder las Chester laut vor. „Auftragsmörder gefasst! Killer führte Leben in Pomp und Luxus.“

Poppys Grinsen wurde noch breiter.

„Na, was sagt ihr nun?“, fragte sie, und wir fragten mit unseren Blicken zurück, denn Chester und ich hatten keinen Schimmer, was wir mit dem Artikel anfangen sollten. Poppys Grinsen erstarb, als sie unsere Begriffsstutzigkeit bemerkte.

„Mensch, kapiert ihr denn nicht? Das ist die Lösung unserer Probleme“, blaffte sie mit dem gut trainierten Busfahrer-Blaffen, das einem grafittifreudigen Pubertanden in der hintersten Sitzreihe den Edding aus der Hand fallen lässt. Sie zerrte Chester den Ausschnitt aus den Händen und stieß ihren Zeigefinger auf eine mit Bleistift unterstrichene Zeile.

„… kassierte im Schnitt 10.000 Pfund für jeden seiner Morde“, las Chester. Was das Poppy-Grinsen zurück ins Leben beförderte.

„Fällt der Groschen endlich?“

Chester hob den Blick, und sein Gesicht musste Poppy an den rammdösigen Ausdruck ihrer englischen Bulldogge Tappsie erinnern, wenn Poppy zur Übung die Namen der Haltestellen ihrer Linie aufsagte. In meinem Gehirn fingen aber einige eingerostete Rädchen an, vernehmlich zu quietschen, bis sie in Gang kamen und einen Gedanken produzierten, der mir gar nicht gefiel.

„Du meinst doch nicht etwa, wir sollten … Also wir … Du meinst, wir drei?“

Ich gebe zu, das war nicht gerade das, was man gemeinhin unter einer geistreichen Rede versteht, aber Poppy verstand sofort, dass ich verstanden hatte. Und uns beiden war klar, dass Chester weiterhin bar jeden Verstehens war. Darum erklärte Poppy ihm die Sache in einfachen Worten, die selbst für einen Fahrer der Country Area nachzuvollziehen waren.

„Sieh mal, Kleiner! Der Sinn eines Jobs ist doch, Geld zum Leben zu verdienen, oder?“

Chester nickte.

„Und wegen des Geldes sind wir bisher Bus gefahren.“

Zustimmung von Chester.

„Wenn wir nicht mehr Bus fahren, gibt es kein Geld. Deswegen müssen wir uns einen anderen Job suchen, mit dem wir Geld verdienen.“

Anscheinend kam Chester zunehmend in Form, denn er wirkte weiterhin so, als sei er voll auf der Höhe.

„Je mehr Geld es gibt, desto besser ist der Job. Und zufällig steht in diesem Artikel hier,“ sie hielt Chester den Ausschnitt direkt vor die Nase, „wie man mit ganz wenig Aufwand ganz viel Geld bekommt.“

„Nämlich?“ Chester war offensichtlich an seinem geistigen Limit angekommen.

Poppy atmete einmal tief durch. Die Art von Durchatmen, die man macht, wenn man auf eine Haltestelle voller Schulkinder zufährt, bevor man die Türen öffnet.

„Wir steigen ein in das Auftragskillergeschäft!“, sagte sie. Dann zog sie langsam ihre Mundwinkel zu ihrem Poppy-Grinsen nach oben, sodass Chesters Mundwinkel die Bewegung automatisch mitmachten.

„Kapiert?“

„Ja!“

„Bist du dabei?“

„Nein!“

Im ersten Moment dachte ich, Poppy würde ihm eine runterhauen. Aber sie schlug sich ihre große Hand gegen die eigene Stirn.

„So ein blöder Esel“, stöhnte sie. „Jetzt muss ich alles nochmal von vorne …“

„Nee, ich hab das schon verstanden“, unterbrach Chester sie. „Du willst, dass wir Leute umbringen und uns dafür bezahlen lassen.“

Poppys Augen weiteten sich. Meine Hand mit dem Bier blieb auf halbem Wege zum Mund stecken. Mit so viel Intelligenz hatte Chester uns schon lange nicht mehr überrascht. Aus dem Jungen konnte wohl doch noch etwas werden.

„Aber ich habe keine Lust, Leute umzubringen“, zerstörte Chester Poppys aufkommende gute Laune. „Ich hab’ mir ’was anderes überlegt.“

„Und was?“ Poppy dehnte das zweite Wort so lang, dass Chester den Blick erst beschämt zu Boden und dann trotzig ihr direkt ins Gesicht wenden konnte.

„Meine Oma hat ein Auto. Das leiht sie mir. Damit werde ich Fahrer für Uber.“

„Für Uber?“

„Ja, genau.“

„Und du denkst, dass du davon leben kannst?“

Chester rutschte unruhig auf seinem Barhocker herum. Über diese Frage hatte er anscheinend noch nicht ausgiebig nachgedacht.

„Na ja, …“

Dieses Mal ließ Poppy ihn nicht ausreden.

„Kleiner, du hast schon kaum genug eingenommen, als du noch mehrere Dutzend Leute durch die Gegend kutschiert hast. Glaubst du im Ernst, du wirst reich, wenn du die Männeken einzeln herumfährst?“

Das war ein Volltreffer. Eine gute Minute sagte Chester kein Wort. Nur sein Mund klappte langsam auf und zu im Verlaufe eines sichtlich schmerzhaften Denkprozesses.

„10.000 Pfund“, flüsterte Poppy ihm ein.

„Steuerfrei!“, ergänzte ich. Je länger ich selbst darüber nachdachte, desto besser gefiel mir der Vorschlag. Bei diesen Tarifen würde ein Mord alle paar Wochen ausreichen, damit wir drei genau so viel oder sogar mehr verdienten als während der endlosen Buckelei als Busfahrer. Welcher Beruf bietet einem das sonst?

„O… Okay, ich bin dabei“, beendete Chester seinen Entscheidungsfindungsprozess. Poppy klopfte ihm zustimmend auf die Schulter, sodass Chester die Hälfte seines Bieres verschüttete.

„Dann ist das abgemacht!“, verkündete sie. „Ab morgen starten wir als Auftragsmörder in ein neues, in ein besseres Leben.“


Im Nachhinein muss ich zugeben, dass wir ein wenig naiv an die Sache rangegangen sind. Ein Unternehmen zu gründen, soll ja nie einfach sein. Sich als Agentur für Auftragsmorde selbständig zu machen, ist es mit Sicherheit nicht, das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung verraten.

Vor allem standen wir vor dem Problem, wie wir an Kundschaft kommen sollten. Große Werbeaufkleber auf den Bussen, wie wir sie von unserer bisheriger Arbeit kannten, kamen jedenfalls nicht in Frage. Die hätten zwar besonders in den Finanzvierteln, wo die überreichen Börsengurus sich sowieso am liebsten gegenseitig den Tod wünschten, für ordentlich Kundschaft gesorgt. Dummerweise hätten sie aber auch die Polizei auf uns aufmerksam gemacht, und das wollten wir doch lieber vermeiden.

Poppy kam auf die Idee, es mit einer Anzeige im Darknet zu versuchen. Ihr Mann hatte gelesen, dass sich Verbrecher dort austauschen und ihre Dienste anbieten. Das klang gut, nur wusste keiner von uns, was das Darknet eigentlich war und wie man dort hinkam. Am Ende war es ausgerechnet Chester, der den zündenden Einfall mitbrachte. „Mitbrachte“ meine ich dabei wörtlich, denn Chester war nicht selbst auf die Idee gekommen, sondern schnappte sie vom Besuch bei einem seiner Onkel auf. Der saß gerade eine Haftstrafe wegen Hehlerei ab und meinte auf Chesters Frage, wie er den Kontakt zu seiner Kundschaft hergestellt hätte, dass es da eine Reihe von Bars gebe, in denen man alles verticken könnte. Zum Glück hatte Chester einen seiner hellen Momente und ließ sich gleich die Liste der Lokale diktieren, sodass wir noch am selben Abend loslegen konnten.

Wo die einzelnen Adressen waren und mit welcher Linie man hinkam, wussten wir als erfahrene Busfahrer natürlich. Wie man dort als freischaffende Mörder auftritt, weniger.


„He Meister!“ Ich beugte mich vor über die Theke, ganz dicht an das Ohr des herangeschlenderten Barkeepers. „Ich würde dir gerne ein Angebot machen.“

Der Barmann trocknete ganz dem Klischee entsprechend mit einem schmutzigen Handtuch ein Bierglas ab. Nicht die kleinste Regung verriet, ob er mich verstanden hatte oder nicht. Doch als Busfahrer war ich es gewohnt, dass die Leute so taten, als würden sie mich übersehen. Besonders, wenn sie keinen Fahrschein hatten.

„Nehmen wir mal an, du hast Ärger mit jemandem“, raunte ich weiter. „Also so richtig Stress. Und du wünschst dir, dass dieser jemand von der Bildfläche verschwindet. Also dauerhaft.“

An dieser Stelle machte ich eine Kunstpause, um dem anderen Zeit zu geben, sich die Situation plastisch vorzustellen. Der Barmann reagierte nicht. Machte nur seine Putzerei.

„In solchen Fällen könnten meine Freunde und ich helfen“, fuhr ich fort. Dabei setzte ich ein Gesicht auf, wie ich es mir für einen abgebrühten Massenmörder vorstellte. Pokerface-of-Death hatte ich es für mich selbst genannt, als ich am Morgen vor dem Spiegel geübt hatte. „Das Angebot gilt nicht nur für dich. Auch für deine besten Kunden natürlich.“

Der Zeitpunkt für mein überlegenes Lächeln. Ich dachte schon, damit hätte ich ihn an der Angel, denn er stellte das immer noch schmutzige Glas ab, stützte die Arme auf den Tresen und sah mir direkt in die Augen.

„Du meinst, wenn ich mal einen kleinen Scheißer mit zu großer Klappe abservieren will?“, fragte er. Was inhaltlich eine ziemlich gute Zusammenfassung meines Vortrags war, mich aber wegen der Betonung, mit der er aussprach, ein wenig irritierte. „Für solche Fälle habe ich meine ganz eigene bewährte Methode.“

Er schleuderte sich das Handtuch lässig über die Schulter, und warf mich zehn Sekunden später im hohen Bogen vor die Tür.

„Auch schon da?“

Ich landete genau vor Poppys Füßen. Ihrer zerzausten Frisur, dem Kratzer auf der linken Wange und der zerrissenen Bluse zufolge war sie bei der Akquise auch nicht erfolgreicher gewesen als ich.

„Hatte ’ne kleine Auseinandersetzung mit dem Rausschmeißer vom Queen’s Dog“, klärte sie mich auf. „Der wird wohl kein Auftraggeber für uns. Eher eines unserer ersten Opfer, wenn sich der Riss in der Bluse nicht nähen lässt.“

„Wie geht es Chester?“, fragte ich, während ich mich aufrappelte und meine Busfahrermütze abstaubte.

„Ist noch nicht wieder aufgetaucht.“ Poppy strich sich mit der Hand über das Gesicht. „Hoffentlich nehmen sie den Jungen nicht ganz auseinander. Wir hätten ihn nicht alleine losziehen lassen sollen.“

Typisch Poppy! Immer fürsorglich und liebevoll. Solange man nicht die Sitze in ihrem Bus aufschlitzte. Oder ihr die Bluse ruinierte. Oder jemand dafür bezahlte, dass sie einen umbrachte.

„Los, komm! Machen wir Schluss für heute“, schlug sie vor. „Vielleicht sitzt Chester längst in unserem Pub und hat sich ein paar Bierchen Vorsprung erarbeitet.“


Tatsächlich trafen wir ihn dort in unserer Stammecke, und er schien bester Laune zu sein.

„Ich hab den Job!“, empfing er uns freudestrahlend.

„Is’ nicht wahr!“, rief ich. „Ausgerechnet du hast einen Auftrag für einen …“ Ich senkte die Stimme. In unserem Stammpub war das Licht zwar gedämpft, doch ein zwielichtiger Schuppen war es trotzdem nicht. „… Also, du hast uns einen Auftrag für einen Mord an Land gezogen?“

„Mord?“ Chester sah mich an wie eine dieser Omas, die stundenlang, ohne einzusteigen tratschend vor der offenen Bustür stehen und einem dann böse Blicke hinterherwarfen, wenn man ohne sie abfuhr. „Ich rede von meinem Job bei Uber, Mann!“

Ich stöhnte genervt. Als Busfahrer spricht man grundsätzlich nicht gerne schlecht über seine Kollegen. Aber Chester hat es sich manchmal ehrlich verdient, dass man eine Ausnahme macht. Doch bevor ich ihm meine Meinung geigen konnte, nahm Poppy ihn sich zur Brust. Und zwischen Poppys Brüsten kann ein schmales Hemdchen wie Chester auf immer und ewig verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

„Nun mal für die liebe Poppy, Kleiner“, sagte sie mit zuckersüßer Stimme, mit der man auch streunende Hunde anlockt, um sie einzufangen. „Hatten wir nicht abgesprochen, dass der Gedanke mit der Uber-Fahrerei endgültig aus der Welt gehört?“

„Nee, haben wir nicht!“ Das musste man Chester lassen: Er hatte ordentlich Mumm in den Knochen. Oder er war noch blöder, als ich bis dahin vermutet hatte. „Ich habe nur gesagt, dass ich mitmache bei dieser Mördersache. Aber das mit Uber mach’ ich trotzdem. Hab’ ich eben zwei Jobs.“

Jetzt war es an Poppy, kopfschüttelnd zu seufzen. Was sollten wir da machen? Chester war eben Chester. Ich wollte mich gerade auf den Weg machen, für sie und mich etwas zu trinken zu besorgen, da stellte sie ihm ohne große Hoffnung auf eine positive Antwort die entscheidende Frage.

„Und was ist mit deinem kleinen Nebenjob als Killer? Hast du einen Auftrag an Land gezogen?“

„Jipp! Hab ich!“

Ich erstarrte mitten in der Drehung, und Poppy, die gerade ihren Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hand stützen wollte, verfehlte die Tischplatte und knallte fast mit dem Kinn auf das Holz.

„Was soll das heißen?“, fragte ich und bewies damit, dass meine Auffassungsgabe mitunter ähnlich ausbaufähig wie von Chester sein konnte.

„Das heißt, dass ich uns einen Auftrag für einen Mord besorgt habe“, erklärte Chester geduldig, als wäre der Satz ungeheuer kompliziert.

„Ist nicht dein Ernst“, sagte Poppy.

„Doch, ist es!“, beharrte Chester. „Wir kriegen 12.000 Pfund bar auf die Hand, wenn wir die Zielperson innerhalb von zwei Wochen ausschalten. Zielperson! So hat der Mann selbst gesagt.“

Poppy und ich mochten unseren Ohren nicht trauen. Abwechselnd bestürmten wir den armen Chester mit immer den gleichen Fragen. Wer der Auftraggeber wäre. Wen wir umbringen sollten. Ob es wirklich um 12.000 Pfund ging. Chester antwortete mit stoischer Ruhe, dass unser Honorar wahrhaftig bei 12.000 Pfund lag. 12.000 Pfund! In Cash! Ohne Abzüge. Und dass er die anderen Sachen alle nicht wüsste.

„Es ist nämlich so: Der Typ will vorher sicher sein, dass er es mit richtigen Profis zu tun hat“, erzählte er. „Mit Anfängern macht er aus Prinzip keine Geschäfte." Er nippte an seinem Bier. "Deshalb müssen wir ihm erst beweisen, dass wir es drauf haben.“

„Und wie sollen wir das machen?“, wollte ich wissen.

„Das habe ich den Typen auch gefragt“, antwortete Chester. „Und der meinte, als Beweis würden ihm zum Beispiel Fotos von einem unserer Opfer reichen. Wenn es schon tot ist, natürlich. So als Arbeitsprobe, hat er gesagt.“

„Als Arbeitsprobe“, wiederholte Poppy. Und Chester nickte eifrig.


Bekanntermaßen kann man Leichen nicht per Katalog bestellen. Das war uns von vornherein klar gewesen, sogar Chester. Nur hatten wir in unserem Überschwang ein wenig aus den Augen verloren, dass keiner von uns Erfahrung darin besaß, jemanden umzubringen.

Alles, was wir wussten, war, wie es sich anfühlte, mit dem Bus eine Katze zu überfahren, die plötzlich vor einem auf die Straße springt. Kein schönes Gefühl, das dürfen Sie mir ruhig glauben. Unter uns: Bei meiner allerersten Katze musste ich danach ordentlich kotzen. Mitten in der Fahrerkabine. War ne schöne Sauerei. Hat mich nach Feierabend volle zwei Stunden gedauert, das wegzuwischen, und trotzdem hat der ganze Bus noch eine Woche lang danach gerochen. Später gewöhnt man sich dann daran. Also, nicht nur an den Geruch von Kotze – dafür sorgen schon die Nachtfahrten durch die Viertel mit den Clubs und den Bars –, auch an die toten Katzen. Mal abgesehen vom verrückten Wayne fährt zwar weiterhin keiner absichtlich über so’n Tier, aber es passiert halt dann und wann.

’Nen Menschen umzubringen, ist aber eine ganz andere Nummer. Und obendrein nur aus Werbezwecken … Bei dem Gedanken wurde uns allen drei ganz anders.


"Ich bin dafür, wir machen unseren Ex-Boss kalt!"

Chester knallte sein leeres Bierglas auf den Tisch und hielt sich anschließend daran fest, um nicht vom Hocker zu rutschen.

"Geht nich’, den kennen wir, und der kennt uns", widersprach Poppy zum was-weiß-ich-ten Mal. Seit vier Runden drehte sich unsere Diskussion hartnäckig im Kreis. "Unter Bekannten bringt man sich nich’ gegenseitig um. Wie sähe denn sowas aus?"

Ich nickte zustimmend und wunderte mich erneut, warum der Pub so wackelig konstruiert war und weshalb niemand außer mir das Schwanken bemerkte.

"Trotzdem", nuschelte Chester. "Oder hat einer von euch ’ne bessere Idee?"

Hatten wir nicht. Also starrten wir eine Weile in höchster Konzentration in unsere leeren Gläser und orderten schließlich eine weitere Runde.

"Tut mir leid, Freunde, das wird nichts. Sperrstunde!"

Die gab es zwar offiziell nicht mehr, doch wie so viele Publicans setzte auch unser Stammwirt die gute alte Tradition fort und machte seine Schankhähne um 23 Uhr dicht.

"Hiermit erkläre ich die heutige Sitzung der ehrwürdigen Mörder GmbH für beendet", sprach Poppy feierlich und nahm unter mühevollen Verrenkungen ihren Busfahrerrucksack auf. "Daheim wartet Tappsie sehnsüchtig auf mich."

Tappsie, das war Poppys Bulldogge. Neben dem Hund besaß sie noch einen Ehemann, den mit dem Unfall und den Zeitungen, aber der musste weitgehend für sich selber sorgen. Angeblich hatte er inzwischen sogar kochen gelernt, sodass sich nicht nur Tappsie, sondern auch Poppy Hoffnung auf ein Abendessen machen konnte, wenn sie nach Hause kam.

Ganz so rosig waren meine Aussichten nicht. Meine Frau hatte sich angewöhnt, an meinen Pub-Abenden gleich nach dem Fernsehkrimi ins Bett zu gehen, sodass mir nur blieb, die Reste vom Mittag warm zu machen.

Worüber Chester in Jubelstürme ausbrechen würde, denn auf ihn wartete niemand in seiner kleinen Dachgeschosswohnung, schon gar nicht im warmen Bett. Chester war erst vor einem halben Jahr bei seiner Mutter ausgezogen und Single. Die Erdnüsse aus den Tresenschalen dürften seine letzte Mahlzeit für diesen Tag sein. Wie nach jeder Pub-Sitzung ging er die Tische ab und füllte die Nussreste in eine alte Blechdose. Poppy und ich beobachteten diskret, wie der Wirt vorher heimlich einige der Schälchen schnell nachfüllte. Das war einer der Gründe, warum wir unseren Stammtisch ausgerechnet in diesem Pub abhielten.

Draußen schlug uns die volle Kälte eines atlantischen Sturmtiefs entgegen und wir unsere Mantelkragen höher.

"Ziehen Sie sich warm an, das wird die frostigste Nacht des Jahres", hatte der Wetterfrosch angekündigt, und das Wetter war ausnahmsweise einer Meinung mit ihm. Noch auf dem Weg zur Bushaltestelle wurden wir stocknüchtern.

"Wir sehen uns dann morgen, Jungs", verabschiedete Poppy sich, als sie einstieg. "Es sei denn, einer von euch stolpert zufällig über eine Leiche."

Der Witz war nicht sonderlich gut, aber das Lachen wärmte uns kurz auf. Es war wirklich saukalt, und mit jeder Minute fielen die Temperaturen tiefer in den Keller. In solch einer Nacht trauten sich garantiert nicht einmal Leichen vor die Tür, dachte ich. Und auch das war eigentlich nur im Scherz gemeint.


Doch dann wartete neben meiner Haustür Barney.

Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, wie Barney wirklich hieß. Niemand wusste das. Aber alle in meinem Viertel kannten ihn. Er war sozusagen unser Obdachloser, der mal hier in einer Auffahrt schlief und mal dort ein paar Pence für einen Kaffee oder einen Gin bekam. Barney tat allen gut: Denen, die hatten, weil sie sich besser fühlten, wenn sie ihm ein Almosen gaben. Und denen, die nicht hatten, weil sie sich sagen konnten, dass da immer noch jemand war, dem es schlechter ging. Barney war so etwas wie ein Familienmitglied: Er lebte neben einem her, und man interessierte sich nicht wirklich für ihn.

Solange er nicht steifgefroren an der Tür lehnte.

Die Eingänge zu den Häusern in meiner Straße waren ein wenig nach hinten versetzt. Vermutlich hat Barney dort Schutz vor dem schneidenden Wind gesucht, aber die Kälte hatte ihn dennoch gefunden – und zu einem rollkoffergroßen Steak im löchrigen Mantel gefroren. Es knisterte, als ich ihn vorsichtig anstupste, und ein paar seiner struppigen Haarsträhnen brachen als Eiszapfen ab. Kein Zweifel: Barney war mausetot.

Da hatten wir unsere Leiche.

Glauben Sie mir: Ich wäre viel lieber mit langen Beinen über den toten Barney hinübergestiegen, hätte die Tür aufgeschlossen und mich möglichst schnell unter meiner Bettdecke verkrochen und jemand anderen den Tiefkühltoten finden lassen. Schließlich war es nur ein Zufall, dass Barney ausgerechnet vor meiner Tür das Zeitliche gesegnet hatte. Es hätte genauso gut bei den Cunninghams passieren können. Oder bei den Coopers. Oder den Locksmiths.

Aber so einfach konnte ich diesen eiskalten Wink des Schicksals nicht ignorieren. Barney war tot, wir brauchten eine Leiche, hier lag eine vor meiner Tür.

Ich turnte also tatsächlich über den armen Kerl und ging ins Haus, aber nur, um eine alte Decke zu holen und über ihm auszubreiten. Ihm würde das zwar nicht mehr helfen, aber es würde ihn vor neugierigen Blicken schützen und mir auf diese Weise helfen, mein Erstfinderrecht zu sichern.

Nachdem ich Barney dermaßen drapiert hatte, rief ich Poppy und Chester an. Die dachten natürlich, ich wollte sie verkohlen, und erklärten sich erst dann bereit, sich aus den Betten zu quälen und zu mir zu kommen, als ich ihnen ein paar Handyfotos von unserem ersten Opfer schickte.

Eine halbe Stunde später standen wir zu dritt vor Barney und beratschlagten, was wir nun mit ihm anfangen sollten.

„Du nimmst ihn mit zu dir nach Hause“, sagte Poppy entschieden zu Chester.

„Warum ich? Alec hat ihn gefunden. Es ist seine Leiche!“, beschwerte er sich.

„Und wo soll ich mit ihm hin?“, fragte ich gereizt. Meine Ohren waren bei der Warterei auf die beiden fast ebenso erfroren wie Barneys, und die Füße spürte ich schon seit einer Viertelstunde nicht mehr. Man konnte es Barney wahrlich nicht vorwerfen, bei dieser Höllenkälte den Geist aufgegeben zu haben. „Soll ich ihn vielleicht mit an den Frühstückstisch setzen, damit die Kinder ihm vor der Schule einen Kuss geben können?“

„Eben!“, bestätigte Poppy und versah Chester mit einem strengen Blick. „Du wohnst als einziger von uns dreien alleine. Wir laden ihn jetzt in den Kofferraum deines Autos und tragen ihn dann die Stufen hoch in deine Badewanne.“

„Meine Badewanne? Habt ihr sie noch alle?“

Chesters Stimme übersprang vor aufkommender Panik ein paar Oktaven. Poppy brachte ihn mit erhobenen Händen zum Schweigen.

„Dann fahren wir zu ein paar Tanken und kaufen alle Vorräte an Eis, die wir kriegen können. Damit halten wir den guten Mann über Nacht frisch. Und morgen machen wir ihn schick für ein paar Beweisfotos.“ Sie wies mit dem behandschuhten Zeigefinger auf mich. „Alec, du bringst ein paar anständige Klamotten mit, die wir ihm anziehen können. Chester, ich vermute mal, du hast einen Rasierer und Kamm zu Hause, oder?“

„Du willst ihm meine guten Sachen …“

„Mit meinem Rasierer …“

Chester und ich empörten uns um die Wette. Wenn es nicht so ein plattes Wortspiel wäre, würde ich sagen, es ging heiß her. Aber zum Ende bestimmte natürlich mal wieder Poppy, was gemacht wurde.

„Das ist unsere erste Leiche, Jungs! Die muss nach etwas aussehen! Schließlich wollen wir damit auf Kundenfang gehen.“ Sie bückte sich und packte Barney fest an den Füßen. „So, und nun fasst mal mit an! Alleine kann ich den nicht in den Kofferraum hieven.“


Sie würden sich wundern, was man aus einer eher leicht verwahrlosten Leiche machen kann, wenn man erstmal die anfängliche Scheu überwunden hat und sich wirklich Mühe gibt. Am Tag nach dem Zufallsfund verbrachten wir den Vormittag damit, Barney behutsam so weit aufzutauen, dass wir ihn von seinen schmutzstarrenden Sachen befreien und mit feuchten Tüchern reinigen konnten. Chester hatte an einer der Tankstellen, mit deren Eis wir seine Badewanne gefüllt hatten, einen Satz Einwegrasierer gekauft und damit Barneys Gesicht entstoppelt. Wäre er nicht schon tot gewesen, hätte ihn diese Prozedur mit Sicherheit umgebracht, doch da kein schlagendes Herz die vielen Schnitte mit frischem Blut versorgte, ließ sich alles unauffällig mit geschickt aufgetragenem Makeup aus Poppys persönlichem Vorrat kaschieren. Angetan vom Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit traten wir einen Schritt zurück und betrachteten einen Barney, der in meinem Sonntagsanzug als Leiche besser aussah als zu seinen Lebzeiten.


„Wie ein richtiger Gentleman“, strahlte Poppy. „Alec, halt mal seinen Kopf hoch, damit der nicht immer nach vorn kippt. Chester, hast du einen Besenstiel im Haus?“

Den Besen schoben wir von unten durch Hemd und Jacke und spannten einen dünnen Zwirnsfaden um den Stiel und Barneys Kopf. So stabilisiert sackten zwar die Schultern leicht nach vorne, doch im Vergleich zur Körperhaltung, die meine Kinder beim Sonntagstee bei ihrer Oma demonstrieren, saß Barney da wie eine Eins. Es blitzte, als Poppy mit ihrem Smartphone eine ganze Serie von Fotos schoss.

„Jetzt legt ihn mal auf den Boden“, kommandierte sie. „Mit abgewinkelten Armen und Beinen wie bei einer echten Leiche.“

„Das ist eine echte Leiche“, rief ich ihr in Erinnerung, während Chester und ich Barney in die Positur eines hinterrücks Erschossenen brachten.

Eine halbe Stunde saß und lag Barney für uns Modell, und ich muss sagen, dass er seine Rolle ausgesprochen gut spielte. Hätte bloß früher jemand entdeckt, welch großes schauspielerisches Talent in ihm steckte, ihn hätte bestimmt eine glänzende Karriere am Globe oder einem anderen Theater erwartet.

„Das ist jetzt genug.“ Poppy wischte sich auf ihrem Smartphone durch die Fotos. „Damit bastle ich uns einen ganz bezaubernden Werbeflyer.“

Es waren wirklich großartige Bilder. So lebensnah. Besonders die Leichenblässe in Barneys Gesicht wirkte viel natürlicher als in den Fernsehkrimis.

„Und was machen wir nun mit ihm?“

Manchmal hatte Chester eine enervierende Art, eine gehobene Stimmung mit einer unpassenden Frage zu verderben.

„Was meinst du mit ‚machen‘?“, fragte ich schroff zurück.

Natürlich hatte ich verstanden, worauf Chester hinaus wollte, doch mir passte der Gedanke nicht, dass wir vor einem weiteren ernsten Problem standen. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Poppy die Lippen fest aufeinander presste. Ganz gegen ihre sonstige Art war auch sie um eine Antwort verlegen.

„Na, wir haben die Fotos, mit denen wir beweisen können, was für tolle Auftragsmörder wir sind“, erläuterte Chester, der nicht begriffen hatte, dass ich nur auf Zeit spielte in der Hoffnung auf einen überraschenden Geistesblitz. “Also brauchen wir Barney nicht mehr. Also kann er weg. Und wohin?“

„Zu mir kann er jedenfalls nicht!“ Poppy steckte das Smartphone in ihre Tasche. „Ich mach’ schon den Flyer. Außerdem würde Tappsie ihn vielleicht anknabbern.“

Damit war Poppy aus dem Spiel. Chester schaute mich fordernd an.

„Ich kann ihn auch nicht nehmen!“, blockte ich sofort jegliche Forderung ab. „Ich hab’ Frau und Kinder und nicht genug Platz im Haus. Das haben wir doch gestern schon geklärt.“

„Gestern ging es nur darum, wo Barney über Nacht bleiben sollte und bis wir die Fotos haben.“ Chester fing an, sich ernstlich aufzuregen. Wie damals bei seiner ersten Fahrprüfung, bei der er vor Panik gleich zu Anfang den Motor dreimal abgewürgt hat und der Prüfer ausgestiegen ist, bevor Chester überhaupt losgefahren war. „Jetzt ist das alles im Kasten, und nun kann er weg.“

Damit war das Dilemma glasklar zusammengefasst, und wir starrten einfallslose fünf Minuten schweigend auf Barney, der geduldig in sich zusammengesunken auf dem Küchenstuhl saß, den Kopf auf die Tischplatte gesunken.

„Wir könnten ihn in einem See versenken“, schlug ich schließlich vor. „Das machen die Mörder im Fernsehen ganz oft so.“

„Und wo kriegen wir ein Boot her?“, fragte Poppy. „Außerdem sind die Seen bei dieser Eiseskälte zugefroren.“

„Und wenn wir ihn verbrennen?“ Chesters Wangen glühten bei dem Gedanken vor Begeisterung.

„Dann lockt der Rauch die Feuerwehr an, und die stellt dumme Fragen, wenn da noch ein halbes Bein oder so aus den Flammen ragt.“

„Was ist mit Vergraben? Im Hyde-Park. Oder außerhalb.“

„Hast du zufällig einen Presslufthammer? Der Boden ist hartgefroren wie Granit.“

So ging es eine Weile hin und her. Um eine Leiche über unbewohntem Gebiet aus einem Flugzeug zu werfen, benötigte man eine Privatmaschine, in der einem keine neugierige Passagiere dabei beobachteten, wie man den Toten zur geöffneten Tür bugsierte. Eine Betonbestattung im Fundament eines Hauses setzte eine möglichst große Baustelle im genau richtigen Stadium voraus. Und für eine alles zerfetzende Explosion, die zugleich jegliche Spuren beseitigte, fehlten uns der Sprengstoff und das Wissen, wie man damit umgeht.

Wir befanden uns an jenem Punkt der Unternehmensgründung, wenn das sorgfältig erarbeitete Geschäftsmodell auf die knallharte Realität trifft und zu zerschellen droht. Damit, dass es schwieriger sein könnte, eine Leiche loszuwerden, als eine in Besitz zu bringen, hatten wir nicht gerechnet.

„Jungs, ich hab’s!“, verkündete Poppy endlich. Sie hatte ihr Smartphone wieder aus der Tasche gewühlt und die letzte Viertelstunde damit rumgespielt. „Wir lösen Barney einfach auf!“

Chester und ich starrten sie stumm und verständnislos an.

„Was denn?“ Ungläubig riss Poppy die Augen weit auf. „Lest ihr kein Internet? Da steht die Lösung für unser kleines Problem.“ Sie hielt uns das Display vor die Nasen. „Taucht man ein Steak in Cola, frisst die Säure es innerhalb von vierundzwanzig Stunden restlos auf. Mitsamt Knochen und Sehnen.“

„Und du meinst, das funktioniert?“ Ich war noch nicht überzeugt.

„Kannst du nicht lesen? Steht da doch!“ Poppy stieß mir ihr Handy erneut entgegen. Auf dem Bild, das zu dem Text gezeigt wurde, hing ein saftiges T-Bone-Steak über einer Schüssel mit dunkler Flüssigkeit an einem Faden.

„Aber wo kriegen wir eine so große Schüssel und so viel Cola her?“

Chester legte die Stirn in zweifelnde Falten. Poppy verdrehte genervt die Augen.

„Wir machen das natürlich in deiner Badewanne“, bestimmte sie. „Die Eiswürfel, die noch von gestern drin sind, spülen wir in der Toilette runter. Danach klappern wir alle Tanken in der Umgebung ab und kaufen massenhaft Cola. Die kippen wir in die Wanne, legen den nackten Barney rein, und morgen um diese Zeit ist unser Sorgenkind wie von Zauberhand verschwunden. Dann ziehen wir den Stöpsel aus der Wanne, und alles ist gut.“


Tja, da staunen Sie, was? Darin unterscheiden sich erfolgreiche Unternehmen von Firmengründungen, die gleich in der Anfangsphase scheitern: Mit Kreativität und eiserner Disziplin meistern sie jede Hürde.

Die Betreiber von Supermärkten, Getränkeläden und Tankstellen im weiten Umkreis dürften an diesem Tag den größten Umsatz des Jahres gemacht haben, und Chesters kleine Wohnung quoll nur so über von leeren PET-Flaschen, als wir Barney in die Wanne legten. Zu Hause stellte ich dann fest, dass ich meinen Sonntagsanzug bei Chester vergessen hatte, doch den konnte ich mir jederzeit bei ihm abholen. Wichtig war, dass wir unser großes Problem gelöst hatten. Alles weitere würde nicht mehr sein als ein Kinderspiel.


Das Kartenhaus fiel am nächsten Tag kurz nach Mittag in sich zusammen, gleich nach dem Lunch. Da klingelte es Sturm an der Wohnungstür, und als ich öffnete, stand Chester am Rande eines Nervenzusammenbruchs davor. Statt ihn herein zu bitten, schob ich mich zu ihm vor die Tür.

„Was ist los?“, fragte ich mit gedämpfter Stimme und schlimmer Vorahnung. „Es geht um Barney!“, zischte Chester. Er redete an seiner Faust vorbei, die er sich, so weit es ging, in den Mund gesteckt hatte. Diese Angewohnheit mancher Leute werde ich niemals verstehen.

„Was ist mit dem?“

„Er sitzt vor dem Haus in meinem Auto.“

„Bist du verrückt?“ Ich griff mir an den Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein! Dieses Problem hatten wir doch schon gelöst. „Was soll der Blödsinn? Warum hast du ihn nicht mit der Cola in den Ausfluss gespült?“

„Das hat nicht funktioniert.“ Unruhig trat Chester vom einen Bein aufs andere, als wenn er mal dringend aufs Klo müsste. „Die Cola hat ihn kein bisschen aufgelöst, nur klebrig gemacht.“

„Ja, aber warum hast du ihn nicht länger drin gelassen, sondern hergebracht?“

Ich fand die Frage überaus berechtigt.

„Weil überraschend meine Schwester bei mir aufgetaucht ist.“

Wegen der Faust im Mund und aufgrund des Schocks, den mir diese Nachricht versetzte, musste er den Satz zweimal wiederholen.

„Deine Schwester aus Glasgow?“, vergewisserte ich mich, dass ich ihn widerwillig, aber richtig verstanden hatte. Chester nickte eifrig.

„Hat sie Barney gesehen?“

Chester schüttelte den Kopf.

„Sie hat mich vorhin vom Bahnhof aus angerufen und sich beschwert, dass ich nicht da war, um sie abzuholen“, erzählte er. „Ich hatte in der ganzen Aufregung vergessen, dass sie sich vor einer Woche angemeldet hat. Na, jedenfalls habe ich ihr gesagt, sie solle besser den Bus nehmen. Und in der Zwischenzeit habe ich Barney aus der Wanne geholt, abgetrocknet, ihm deinen Anzug angezogen und ihn dann heimlich ins Auto geschleppt.“

Ich setzte mich auf die Treppenstufen. Das war eine Katastrophe wie plötzlich einsetzender Schneefall zur Rushhour.

„Was ist dann passiert, als sie bei dir angekommen ist?“

„Angekommen? Wer?“

„Na, deine Schwester! Von wem reden wir denn?“

„Ach, so. Die ist erstmal gleich ins Bad gegangen und sofort wieder rausgekommen und wollte wissen, warum da Eiswürfel im Klo schwimmen und wieso die Badewanne voller abgestandener Cola ist.“

„Und was hast du gesagt?“

„Dass die Zeugen Jehovas da waren.“

„Wie? Mensch, Chester, das ergibt doch gar keinen Sinn.“

„Weiß ich. War aber das erste, was mir eingefallen ist. Hättest du etwa eine vernünftige Antwort parat gehabt? Außerdem hat es geholfen: Sie hat mich angeguckt wie ’n Auto und nicht weiter gefragt.“

„Und dann?“

„Dann hab ich ihr gesagt, dass ich jetzt bei Uber bin und arbeiten muss. Und dann bin ich los hierher.“

Er atmete schwer wie ein vollbepackter Fahrgast in der Weihnachtszeit. Ich selbst sah wahrscheinlich genauso verstört aus. Das kommt davon, wenn man ohne gründliche Fortbildung als Quereinsteiger in eine fremde Branche wechselt. Ein richtiger Auftragsmörder wüsste bestimmt, was in solch einer Situation zu tun wäre.

„Lass uns zu Poppy fahren“, schlug ich vor. Chester atmete auf, als hätte ich ihn mit diesen Worten die Absolution all seiner Sünden erteilt.


Auf der Fahrt zu Poppy musste ich auf dem Rücksitz Platz nehmen. Auf den Beifahrersitz saß Barney. Vorschriftsmäßig angeschnallt, mit dem Kopf auf die Brust gesunken.

„Das ging am schnellsten“, klärte Chester mich auf. „Der Kofferraum ist doch voll mit den leeren Flaschen, die ich heute eigentlich wegbringen wollte.“

Poppy reagierte auf die Neuigkeit, dass wir mit unserer gemeinsamen Leiche gekommen waren, ähnlich wie ich, fing sich aber schneller wieder.

„Jungs, nun ist Schluss mit Sentimentalitäten“, rief sie aus und senkte ihre Stimme, als Tappsie freudig bellte. „Wir haben es im Guten mit Barney versucht, aber nun brennt der Motor. Uns bleibt nur eine Lösung: Wir fahren aufs Land und laden ihn in irgendeinem verschwiegenen Wäldchen ab.“

Chester und ich stimmten sofort zu. Im Grunde unseres Herzens tat es uns Leid um Barney. Er war ein hervorragender Mitarbeiter, doch verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen, und an Verzweiflung mangelte es uns wahrlich nicht. Also quetschten Poppy und ich uns auf die Rückbank, Chester setzte sich ans Steuer, und Barney saß, wo er saß, weil er gar nicht erst ausgestiegen war.


Die Fahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse, bis wir bei Ponders End auf der A10 in eine Polizeikontrolle gerieten. Die Bobbys hatten den Verkehr auf eine Spur reduziert und winkten einzelne Fahrzeuge heraus, darunter auch uns.

„Die Ausweise und den Führerschein, bitte“, forderte der Constable, der an unser Auto trat.

Poppy versetzte mir einen Ellenbogenstoß in die Rippen, um mich aus meiner Schockstarre zu befreien. Umständlich fingerte ich die Papiere aus meiner Jacke und reichte sie an Chester weiter, der sie dem Beamten gab.

„Und was ist mit dem da?“, fragte der Constable. Sein Finger wies fragend auf Barney.

„Ach, der …“ Chester lehnte sich zur Seite und hob den Kopf, um mit dem Mund dichter am offenen Fenster zu sein. „Wissen Sie, ich fahre für Uber, und das ist ein Stammgast von mir. Ist gestern Abend mal wieder seiner Frau ausgebüxt und hat die Nacht durchgemacht. Jetzt bringe ich ihn nach Hause, während er seinen Rausch ausschläft. Keine Ahnung, wie der heißt, aber für den lege ich meine Hand ins Feuer, der hat nichts verbrochen.“

Der Constable überlegte einen Moment, dann kroch ein breites Grinsen über sein Gesicht.

„Wenn das so ist, dann wollen wir ihn mal nicht wecken, bevor seine Frau ihm die Hölle heiß macht“, sagte er, tippte mit Zeige- und Mittelfinger an die Krempe seiner Mütze und gab uns Zeichen weiterzufahren.

„Chester, seit wann bist du denn so gewieft und schlagfertig?“, fasste Poppy auch mein Staunen in Worte.

„Das hab nicht ich mir einfallen lassen“, antwortete Chester, während wir wieder auf die A10 auffuhren. „Das gehört zum Einsteigertrainung für Uber-Fahrer. Da wird man ordentlich gedrillt für den Kontakt mit den Ordnungshütern.“

Zufrieden lächelnd tätschelte er Barney das Knie.


Chesters Hochgefühl hielt bis auf Höhe von Puckeridge. Dort bemerkte er, dass die Spritanzeige nur Zehntel-Inch vor dem Anschlag stand.

„Scheiße!“, fluchte er. „Wir müssen abfahren und schleunigst die nächste Tankstelle suchen.“

„Soll das etwa heißen, du warst gestern bei einem Dutzend Tanken und hast Eis und Cola bis übers Dach gekauft, aber vergessen zu tanken?“

Poppy schüttelte missbilligend den Kopf.

„Entschuldige mal, wenn ich Wichtigeres zu tun hatte“, verteidigte sich Chester.

Poppy hätte sich gerne weiter gezankt und ein wenig Stress abgebaut, doch gleich hinter der Ausfahrt fand Chester eine Shell-Station und steuerte die nächstbeste Zapfsäule an. Statt verbal auf Chester einzuschlagen, murmelte sie nur ein „Isnichwahr“ und starrte ungläubig auf das Fahrzeug direkt vor uns an der Säule. Dort stand ein Leichenwagen.

„Jetzt aber schnell!“, kommandierte Poppy nach der ersten Schrecksekunde. „So eine Gelegenheit kommt nicht wieder.“

„Was für eine Gelegenheit?“, fragte Chester und gab damit einen winzigen Augenblick vor mir zu, dass er nicht verstand, worauf Poppy hinaus wollte.

„Dann guck mal nach vorne“, antwortete sie, während sie ihren Sicherheitsgurt löste und die Tür öffnete. „Da ist ein Leichenwagen, und wir haben eine Leiche, die wir loswerden wollen. Barney steigt um. So einfach ist das.“

Schon war sie aus dem Auto und luscherte in den Verkaufsraum der Tankstelle. Anscheinend hatte der Fahrer des Bestattungsinstituts noch nicht bezahlt, denn Poppy hüpfte in erstaunlich weiten Sätzen an die Heckklappe des Leichenwagens.

„Los, her mit Barney!“, forderte sie, während die Klappe nach oben schwang.

Ein wenig linkisch wegen der plötzlichen Hektik befreiten Chester und ich Barney aus seinem Gurt und trugen ihn nach vorne, Chester im Rettungsgriff am Oberkörper, ich an den Hosenbeinen meines Sonntagsanzugs. Gleich darauf schoben und stopften wir ihn mit vereinten Kräften gegen einen Eichensarg der Mittelklasse, Modell Ewiger Schlummer, Größe L.

„Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie dort treiben?“

Wir erstarrten mitten in der Bewegung. Chester hockte gebückt, ein Bein über den Sarg geschwungen im Laderaum des Autos, die Hände am Kragen meines Anzugs, den nun Barney trug. Poppys Finger unter den Gürtel geschoben, um Barney an der Hüfte anzuheben. Und ich kniete auf Auspuffhöhe auf der Suche nach einem meiner Schuhe, der Barney vom Fuß gerutscht war. Keiner von uns hatte mitbekommen, wie der würdige, ältere Herr im schwarzen Anzug mit Zylinder näher gekommen war.

„Ich gebe Ihnen eine Minute, mir zu erklären, was Sie da an meinem Auto zu schaffen habe“, verkündete er mit ruhiger, aber fester Stimme. „Und dann werde ich wohl die Polizei rufen.“


Falls Sie nun einen dramatischen Showdown mit Verfolgungsjagd und Schießerei erwarten, muss ich Sie leider enttäuschen und auf eine andere Geschichte vertrösten. Die Story um Barney und die Mörder GmbH fand tatsächlich ein Happy End, das für alle Beteiligten so überraschend wie erfreulich war.

In Ermangelung einer vorbereiteten und einstudierten Uber-Geschichte beichteten wir dem Gentleman – der sich als der letzte lebende Paine von Paine, Paine und Paine vorstellte, seit fünf Generationen Leichenbestatter –, wie es um Barney stand. Wie er zu Tode gekommen war, wie wir ihn für die Fotos präpariert hatten und wie wir ihn nun gerne ohne Aufsehen loswerden wollten. Mr Paine begutachtete Barney daraufhin sorgfältig, und da er keine Anzeichen für einen gewaltsamen Tod fand, beschloss er, uns zu glauben. Mehr noch: Er lobte uns für unsere gute Arbeit, mit der wir den Toten hergerichtet hatten, wenn man einmal von der abgestandenen Cola absah, die seiner Haut eine hartnäckige Klebrigkeit verlieh. Schließlich dachte er einen Moment nach und lud uns gegen das Versprechen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, in sein Institut ein, wo wir Barney ausladen dürften.

Dort angekommen erfuhren wir, dass Paine, Paine und Paine seiner ehrwürdigen Vergangenheit zum Trotz vor dem traurigen Ende stand, da Mr Paine keinerlei Nachkommen hatte und es ihm nicht gelungen war, anderweitig einen Nachfolger zu finden.

„Sie drei haben eindeutig Talent im Umgang mit Verstorbenen“, sagte er bei einer Tasse Earl Grey. „Wollen Sie vielleicht mein Unternehmen weiterführen? Puckeridge und Standon sind ein hervorragendes Einzugsgebiet mit vielen älteren Herrschaften. Sie werden sehen, der Laden brummt.“

Was soll ich sagen? Auf die Idee war bis dahin keiner von uns gekommen. Aber was hatten wir zu verlieren? Ohne Jobs und die Aussicht, jemals irgendwo eine feste Stelle zu finden, hatten wir nicht gerade viele Alternativen. Die Sache mit den Auftragsmorden hatte sich jedenfalls als zu kompliziert erwiesen. Also sagten wir zu und machten mit Mr Paine ab, gleich am nächsten Montag bei ihm mit der Ausbildung anzufangen. Ein geeignetes Übungsobjekt hatten wir ja selbst mitgebracht.


Das liegt nun vier Jahre zurück. Mr Paine ist inzwischen leider von uns gegangen, und wir haben ihn unter großer Anteilnahme der Bewohner von Puckeridge und Standon mit einer angemessenen Zeremonie beigesetzt, die sich zugleich als äußerst effektive Marketingmaßnahme erwies. Seitdem quillt unser Auftragsbuch geradezu über, als hätte die Bevölkerung von Puckeridge und Standon beschlossen, möglichst zeitnah eine ähnliche Feier mit sich selbst im Mittelpunkt abzuhalten.

Womöglich hat auch Barney seinen Beitrag dazu geleistet. Aus Dankbarkeit, dass sein Tod unserem Leben eine neue Richtung gewiesen hat, haben wir ihn nicht beerdigt, sondern einbalsamiert, wie es sonst nur Königen und Tyrannen zugute kommt. Zwar liegt es mir fern, mich selbst zu loben, doch ich muss sagen, dass er eine ausgesprochen ansehnliche Leiche ist. Davon zeugen auch die vielen Beglückwünschungen derjenigen, die in unserem Schauraum einen Blick auf ihn werfen, geöffnet an jedem Werktag vormittags.


Nun kennen Sie die ganze Geschichte der Mörder GmbH. So, wie es wirklich gewesen ist. Denn natürlich habe ich Ihnen nur die Wahrheit erzählt. Nichts als die Wahrheit und die ganze Wahrheit. So wahr ich Alec Cattlefield heiße.